Schmid’s Talente — Der Kölner Saxofonist Stefan Karl Schmid im Gespräch


Stefan Karl Schmid, 1984 in Darmstadt geborener Saxofonist mit
deutsch-isländischen Wurzeln, lebt und spielt seit nunmehr elf Jahren in Köln. Seitdem prägt er auf bewundernswerte Weise den Jazz in der Stadt mit, und das nicht nur als Mitorganisator, Arrangeur, gelegentlicher Dirigent und Solist des SJO, sondern auch als Leiter diverser eigener Ensembles. Ob mit Saxofon-Kollege Leonhard Huhn im Quartett Schmid’s Huhn, ob im fein abgestimmten Dialog mit Gitarrist Philipp Brämswig, im Trio „Roar“ des Kontrabassisten Reza Askari oder als kongenialer Partner der Posaunistin Shannon Barnett: Schmids Saxofon hinterlässt immer wieder ganz erstaunliche Spuren. Demnächst schlägt er mit dem Oktett „Pyjama“ ein neues musikalisches Kapitel auf.

Wie geht es dem Saxofonisten Stefan Karl Schmid?

Mir geht es im Moment blendend mit dem, was ich tue. Im Prinzip mache ich das, worauf ich Lust habe. Ich verbiege mich nicht, spiele keine Musik, die ich nicht spielen will. Überwiegend beschäftige ich mich mit selbst komponierter Musik in meinen eigenen Bands oder Gruppen meiner Kollegen und Kolleginnen, die mehr oder weniger für ein paar Jahre fest zusammen spielen. 

Hat ein solches Wohlbefinden auch etwas konkret mit Köln zu tun?

Als ich vor elf Jahren zum Kompositionsstudium nach Köln kam, hatte ich die Wahl zwischen Berlin und Köln, weil ich in beiden Städten einen Studienplatz bekommen hatte. Am Ende war es dann aber keine schwere Entscheidung, nachdem mich so viele Musiker ermutigt hatten, nach Köln zu kommen, um mitzuspielen und Teil der Szene zu werden. Man kann die hiesige Szene allenfalls noch mit Berlin vergleichen, aber was in Köln geschieht, ist einzigartig in Deutschland, vielleicht sogar europaweit. So viele kreative Künstler auf einem Fleck, die auch noch so gut miteinander vernetzt sind, so viel mit- und füreinander tun, das ist einzigartig.

Kommt man dabei auch wirtschaftlich über die Runden?

Wenn man Revue passieren lässt, was sich in den letzten Jahren in Köln entwickelt ist, dann ist das schon absolut erstaunlich. Auch im Vergleich zu anderen Bundesländern. Ich unterrichte nach wie vor in Nürnberg an der Musikhochschule, habe dort einen Lehrauftrag, und so bekomme ich mit, was in Bayern läuft. Dort vergibt man teilweise Preise von gerade mal 1.000 Euro, etwa in Form von Fördergeldern. Da fragt man sich dann als Musiker, was soll ich jetzt mit 1.000 Euro, die letzte CD hat mich allein 10.000 Euro gekostet. In Köln und beim Land Nordrhein-Westfalen kann man dagegen umfangreiche Anträge stellen, neuerdings auch für Ensembleförderung, ebenfalls wurde die Exzellenzförderung gerade neu eingeführt. Da geht es um ganz andere Summen, mit denen vergleichsweise etwas geschehen kann. 

Was aber auch heißt, ständig Mittel akquirieren, Förderanträge stellen etc. Geht solch administrativ notwendiges Agieren nicht auf Kosten der Kreativität? 

Man muss sich ja ohnehin immer selbst organisieren und verwalten, um Projekte zu generieren. Das war schon immer so, dass man einen Weg finden muss, um die Alltagssachen hinzukriegen, also genug haben zum Leben und trotzdem kreativ bleiben. Idealerweise müsste man wie früher ein potentes Label haben, das einem einen Vertrag und viele Aufträge gibt, aber so etwas gibt es längst nicht mehr, selbst in den USA ist das keine Selbstverständlichkeit mehr.

Teilt man sich deshalb auf so viele Bands auf? 

Die Zahl meiner eigenen Bands schwankt. Es ist ja nicht so, dass man mit einer einzigen Band 50 oder mehr Konzerte im Jahr spielen kann. Das können nur die wenigsten. Bei mir sind es mehrere Bands und mit denen weniger Einzelevents im Jahr. So gibt es diverse Gruppen von mir, zugleich aber auch das Subway Jazz Orchestra, das ich mit organisiere, manchmal auch leite, dirigiere und für das ich schreibe und Saxofon spiele. Das alles nimmt viel Zeit in Anspruch, macht aber sehr viel Spaß. Und es ist sehr bereichernd. 

Was ist die größte Vorliebe? 

Zum einen liebe ich es ganz besonders, in kleinen Formationen zu spielen und zu improvisieren. Das mache ich entsprechend häufig, etwa in Reza Askaris Trio oder bei Shannon Barnett im Quartett, beide übrigens ohne Harmonieinstrument, das finde ich super, da fühle ich mich eigentlich am wohlsten. Das ist für mich das Kreativste, da kann ich mich am meisten austoben. Andererseits schreibe und arrangiere ich aber auch sehr gerne. Mein Master-Abschluss an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz war ein Tentett: sieben Bläser, Gitarre, Bass, Schlagzeug. Dafür habe ich dann geschrieben und mit dem Tentett eine CD produziert, die erste, die ich gemacht habe, sie kam dann in der „jazzthing next generation“-Reihe heraus.

Und was ist die aktuelle „Liebe“?

Aktuell habe ich eine neue Band, mit der ich im Studio war: das Oktett „Pyjama“. Von dem kommt im Februar nächsten Jahres eine CD heraus, die wir im Deutschlandfunk aufgenommen haben. Nachdem ich jetzt lange Zeit in Small Groups gespielt und zugleich die Bigband bedient habe, ist das Oktett ein wenig die Fortsetzung des damaligen Tentetts. Die „Pyjama“-Idee geht vom Trio aus, von Bass, Schlagzeug, Saxofon. Dafür habe ich zunächst komponiert, und als Trio haben wir die Stücke erprobt und sie erspielt. Zum Trio habe ich dann Pablo Held am Klavier und ein Blechbläserquartett hinzugenommen, zwei Trompeten, zwei Posaunen, die stelle ich dem Ganzen gegenüber. Ich bin der Hauptsolist, während die Blechbläser eher eine Harmoniefarbe bilden als dass sie individuelle Solisten sind. Pablo wiederum ist am Klavier weniger für die Harmonien zuständig, dafür habe ich ja vorrangig die Bläser arrangiert; aber Pablo ist immer am unglaublichsten, wenn man ihm gar nichts vorgibt. Deshalb habe ich ihm nur das Grundgerüst hingelegt und ihm gesagt: Mach‘ was du möchtest, fülle die Lücken mit deinem Spirit. Und das hat er gemacht, er war sozusagen der Joker bei der ganzen Sache.

Gibt es für ein solches Konzept Orientierungshilfen oder gar Vorbilder?

Inspiriert hatte mich die Platte „Focus“ von Stan Getz aus dem Jahr 1961, mit Kompositionen und Arrangements von Eddie Sauter. Ich hatte nochmal das Plattencover gelesen, weil mich interessierte, wie genau Sauter Getz in seine Streicherarrangements einbindet, und Sauter schreibt, dass er Getz im Grunde gar keine Noten gegeben hat. Das, was Getz spielt, die ganzen Melodien, das ist alles improvisiert. Sauter hat mit dem Hintergedanken komponiert, dass eine Stimme fehlt, die er nicht kennt und für die er Platz lässt im Arrangement. Diesen Gedanken fand ich herausragend, und das habe ich mir dann mitunter beim eigenen Schreiben zu Herzen genommen. Wobei ich wusste: Es gibt Pablo, der kommt hinzu, aber ich weiß nicht, was er machen wird, also lasse ich ihm auf alle Fälle den Platz dafür.

Zugleich erlebt man Sie in anderen Projekten, als Gastmusiker bei anderen Bands oder bei Sessions mit vertrauten Musikerinnen und Musikern.

In der Regel sind das Konzerte mit Musikern, die ich ohnehin mag und die mich gefragt haben, ob ich mitspielen will. Dies interessiert mich künstlerisch, macht zugleich aber Spaß. Natürlich ist das ein Job, aber eben auch mein Leben, mit solchen Bands kreativ zu spielen. So findet man in Sessions zu Bands zusammen, die es ansonsten nicht gibt. Und man kommt mit Leuten zusammen, mit denen man längere Zeit nicht mehr gespielt hat, etwa mit Robert Landfermann, mit dem habe ich früher häufiger gespielt, oder mit Yannis Anft. Mit denen trifft man sich beispielsweise im Artheater, spielt spontan zusammen und probt gar nicht groß dafür. Dass dabei aber unterm Strich immer etwas beim Zuhörer ankommen muss, das steht außer Frage. Ich gehe da mit demselben Anspruch heran wie an meine festen Bands und möchte stets eine größtmögliche künstlerische Aussage machen. 

Wie beispielsweise im Quartett von Shannon Barnett… 

Das ist ein tolles Quartett. Leider haben wir mit der Band nicht mehr so viel gemacht in letzter Zeit, weil Shannon viel anderes zu tun hatte. Wir spielen tatsächlich im Herbst zwei weitere Konzerte. Das meiste, was wir machen, wurde live in der Band erspielt. Irgendwann haben wir angefangen, die Stücke auswendig zu lernen und ohne Noten zu spielen, alles nur noch aus dem Kopf, nur noch hören, zuhören und aufeinander reagieren. Insofern ist es live immer etwas Besonderes mit dieser Band. Auch im Studio haben wir dann keine Noten mehr benutzt und versucht, alles spontan einzufangen. 

Wie sinnvoll ist es, festgelegte Noten auswendig spielen zu können? 

Für meine Studenten habe ich Improvisationen von Lennie Tristano, Stan Getz oder Chris Potter transkribiert, die lasse ich sie nachspielen, bis sie sie im Schlaf beherrschen. Das ist aus der Jazztradition heraus die naheliegendste Art, Jazz zu lernen, eine der vielen Arten, wie man Improvisation lernen kann: Vorbilder kopieren, indem man Soli, die sie gespielt haben, herauszuhören lernt, sie transkribiert und möglichst exakt nachspielt. Letztlich ist das ja das Damokles-Schwert, das über jedem Jazz-Musiker schwebt: Finde deinen eigenen Sound, deine Individualität, und wenn sie möglichst stark ist, dann erst wirst du damit Erfolg haben. Dabei ist das Kopieren und Imitieren ein Lernprozess, den alle durchlaufen sollten. Ziel ist es, etwas in anderen Spielern zu entdecken, um am Ende seine eigene Stimme zu finden.

Man setzt sich also gegenüber Vorbildern selbstbewusst ins eigene, persönliche Verhältnis…

Ja, denn woher weiß man anfangs, was seine eigene Individualität ist? Manche wissen es, ich weiß es nicht immer unbedingt. Ziel ist es, dass man etwas in anderen Spielern entdeckt, ihr jeweiliges Konzept erspürt, um es dann bestmöglich mit seinen eigenen Sachen zu mischen. Wir leben und musizieren in unserer eigenen Zeit, doch erst die Mischung aus alt und aktuell führt zu etwas wirklich Neuem. Gerade die ganz Jungen sind jetzt extrem an elektronischer Musik interessiert, auch an HipHop, was einen ganz anderen Wind in die Jazz-Szene bringt. Als ich zum ersten Mal die Band Salomea gehört habe, da dachte ich, Wahnsinn, wo kommt denn jetzt das her? Aber es ist wahnsinnig gut, nicht zuletzt weil es immer auch noch den Jazz-Background hat, entsprechende Kompositionselemente und zugleich so viel Groove und Power, was ich gar nicht einordnen konnte, weil ich selbst nicht im HipHop drin bin. Jetzt kommt immer mehr davon in die Jazz-Musik hinein, das ist alles schon sehr erstaunlich. 

 

Das Gespräch mit Stefan Karl Schmid führte Horst Peter Koll im Juni 2019 in Köln.

Horst Peter Koll schreibt seit vielen Jahren über Film und Kino, war Chefredakteur zweier Filmmagazine und engagiert sich vor allem auch für den Kinder- und Jugendfilm, aktuell als Kurator beim Online-Portal filmfriend.de. Dem Jazz folgt er inzwischen seit einem halben Jahrhundert, veranstaltete mitunter selbst Konzerte und schreibt gerne über junge wie alte, renommierte wie neue Musikerinnen und Musiker, vorrangig im "Kölner Stadt-Anzeiger".