Mareike Wiening – Der Biss in den Apfel

„Biting the Apple“ hieß die Platte, mit der der Saxofonist Dexter Gordon Ende 1976 nach Jahren im europäischen „Exil“ seine triumphale Rückkehr zum „Big Apple“ einleitete. Wie mochte sich das mehr als 35 Jahre später für eine junge Frau aus dem fränkischen Erlangen anfühlen, als sie als gänzlich Unbekannte in die pulsierende Jazz- Stadt New York kam? Mareike Wiening war Stipendiatin des DAAD und kam, um an der New York University ihren Master of Music zu machen. Im Gepäck hatte sie je einen Batchelor of Music von der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim sowie vom Rytmisk Musikkonservatorium Kopenhagen. Der Vibrafonist Stefon Harris sowie die Schlagzeuger Tony Moreno, Henry Cole und Marilyn Mazur wurden einige ihre Lehrer, und es begannen sechs Jahre prall gefüllten Lebens und Arbeitens, in denen sie sich ihr Stück vom Apfel biss. Nun kehrt Mareike Wiening mit ihrem eigenen New Yorker Quintett nach Köln ins King Georg zurück.

Zusammen mit Rich Perry (Saxofon), Glenn Zaleski (Piano), Alex Goodman (Gitarre) und Johannes Felscher (Schlagzeug) präsentiert die feinmotorisch brillante Schlagzeugerin ihr aktuelles Album „Metropolis Paradise“, das sich ausschließlich aus Eigenkompositionen speist: ein subtiles, melodiefreudiges Gesamtkunstwerk voller nuancen- und variantenreicher Klanggedichte, mal kammermusikalisch, mal spielerisch tänzelnd im Walzer, dann wieder zupackend mit groovenden Improvisationen. Von Ferne grüßt mitunter Charlie Hadens Quartet West, wobei sich in Wienings Quintett das Klavier und die Gitarre den harmonischen Part dialogfreudig teilen. Rich Perry am Tenorsaxofon wiederum erzählt seine ganz eigenen, charaktervollen Geschichten. Perry spielte u.a. mit Chet Baker, Billy Hart und Tom Harrell, war Mitglied des Thad Jones/Mel Lewis Orchestra sowie des Maria Schneider Orchestra und fungiert nun quasi als New York sozialisierter Gegenpart zum Kölner Saxofon-Virtuosen Stefan Karl Schmid, der zuvor mit Mareike Wiening spielte und von dem Perry ein wenig von jenem schönen Nordic-Touch übernahm, der das Quintett ebenfalls prägt. 

Scheinbar unaufgeregt, gleichwohl souverän hält Mareike Wiening all diese musikalischen Fäden zusammen und poliert am Glanz ihres Gegenentwurfs einer technokratischen Riesenstadt Metropolis, in der die Menschen einmal nicht isoliert voneinander leben, sondern ein reges, respektvolles Miteinander pflegen. Äußerlich mag die freundliche junge Frau rein gar nichts mit dem 1,96 Meter-Hünen Dexter Gordon verbinden, musikalisch ist sie nicht minder allen gegenwärtigen Herausforderungen gewachsen.

Mareike Wiening stellt mit ihrem New Yorker Quintett "Metropolis Paradise" im King Georg vor:

Mareike Wiening Quintet feat. Rich Perry
King Georg, 16.01., 20 Uhr

Von Horst Peter Koll

Horst Peter Koll schreibt seit vielen Jahren über Film und Kino, war Chefredakteur zweier Filmmagazine und engagiert sich vor allem auch für den Kinder- und Jugendfilm, aktuell als Kurator beim Online-Portal filmfriend.de. Dem Jazz folgt er inzwischen seit einem halben Jahrhundert, veranstaltete mitunter selbst Konzerte und schreibt gerne über junge wie alte, renommierte wie neue Musikerinnen und Musiker, vorrangig im "Kölner Stadt-Anzeiger".