Neue Stimmen in Köln: Ursula Wienken

Artikel: Lars Fleischmann 
Foto: Lene Lingmann 

In der Rockmusik ist SIE schon lange eine konstituierte Form: Die Frau als Bassistin. Von Suzi Quattro über Talking Heads Tina Weymouth bis zu Kim Gordon von Sonic Youth – es gibt etliche Beispiele; in einigen Phasen stellten die Bassistinnen ein willkommenes Feigenblatt in einer männlich-dominierten Rockwelt dar.
Indes hat man im Jazz, wo Instrumentalistinnen lange Jahrzehnte eine nachrangige Rolle spielen mussten respektive aktiv verdrängt wurden, in Folge dieser historischen Ausschlüsse nach Bassistinnen suchen müssen – und sollte meist enttäuscht werden. Wenige Veteraninnen wie Carol Kaye, die sich in den Welten des Funks, des Soul und des Jazz durchsetzen konnte, sahen ebenso wenige Nachfolgerinnen. Ausnahmen wie die grandiose Meshell Ndegeocello bestätigen auch hier die Regel.
Glücklicherweise ändert sich das Bild allmählich und gerade in den letzten zehn Jahren haben sich immer häufiger (junge) Flinta* für den, meist, viersaitigen Gesellen entschieden. Das hat mit der neuen Sichtbarkeit von aktuellen Vorreiter*innen wie Esperanza Spalding zu tun, aber auch mit einer generellen Emanzipation ausgedienter machistischer Muster, die früher bereits in der musikalischen Kinder- und Jugenderziehung eine Rolle spielten. („Der Kontrabass ist zu groß und schwer für Mädchen.“)

Für die 2001 geborene deutsch-polnische Neusserin Ursula Wienken spielen diese alten Geschlechterzuordnungen keine Rolle mehr. Sie griff bereits im Vorschulalter beherzt zur Gitarre und fand auf dem Gymnasium den Weg zum E-Bass. „Meine Eltern haben starken Bezug zur Musik: Mein Vater hatte Musik als Schwerpunktfach im Sonderpädagogikstudium und spielt akustische Gitarre, meine Mutter hat viel Chorerfahrung und ist sehr musikalisch. Ihnen war es wichtig, ihren Kindern eine musikalische Ausbildung anzubieten“, erzählt Wienken im Interview. Auf der weiterführenden Schule wurde dann gleich eine Big-Band-AG angeboten, was ihren Eifer für das Instrument verstärken sollte.

Die Entscheidung zur professionellen Musikerin sollte bei Wienken dennoch erst zum Ende der Schulzeit fallen. Beeinflusst hat diesen Schritt ihr Bruder, der bereits Schlagzeug am ArtEZ Konservatorium in Arnheim, Niederlande, studiert hatte. „Bei meinem Bruder konnte ich sehen, was es bedeutet, Musik zu studieren. Darüber hinaus habe ich ein Jahr vor dem Abitur das Vorstudium in Köln an der Offenen Jazz Haus Schule begonnen.“ Während der Stunden bei André Nendza hatte sich die Frage nach der Musikerinnenkarriere verdichtet.

Dann sollte die weltweite Corona-Pandemie aber einen (dünnen) Strich durch die Rechnung machen respektive einige Entscheidungen umlenken. Corona hatte damals die Bewerbungsphasen der Hochschulen durcheinandergewirbelt und designierte Student*innen waren gezwungen sich bei mehreren Schulen parallel zu bewerben. Im Fall von Ursula Wienken hieß es: Es geht erstmal nach Rotterdam, wo die Zusage schon vorlag. So zog sie vom Niederrhein an die Maas; aber nur für zwei Monate. Dann kam der Brief aus Köln – und Wienken begann ihr Studium an der HfMT.
„Köln war der klare Favorit für mich. Der Ruf der Kölner Bass-Klasse eilt ihr voraus.“ Zum Studium nahm sich sie dann auch des Kontrabasses an. „Häufig werde ich gefragt, ob ich eher Kontra- oder E-Bassistin bin – beides sind Instrumente, die ich liebe, dementsprechend fällt es mir schwer nur mit einem sich zu identifizieren. Meine Herkunft ist eindeutig der E-Bass, aber die akustische und körperliche Magie des Kontrabasses möchte ich nicht mehr missen. Außerdem faszinieren mich bei beiden Instrumenten vor allem die Spieler*innen mit starkem rhythmischen Ausdruck. Zumal du spürst, wenn der Bass die Band trägt.“ Sie genieße dieses Verantwortungsgefühl, das man als Teil der Rhythmusgruppe ohnehin an den Tag legen müsse. Das Motto lautet: Die Bassistin sorgt dafür, dass eine rhythmische Einheit entsteht und der Song sich entwickeln kann.

Die Songs nehmen bei Ursula Wienken gleich verschiedene Formen an; das musikalische Feld erweitert sich spürbar und fast täglich.
Da ist mittlerweile nicht nur ihre Band, das URS Quartett, die sie relativ früh in ihrem Studium gegründet hat, sondern auch das Quintett Ursula Wienken’s „Summit“. Diese neuere Formation will aus den Erwartungen und dem Szenedruck des Jazz ausbrechen – an ihrer Seite findet man Kölner Mitmusiker*innen um Simon Bräumer an den Drums, Leon Hattori am Fender Rhodes, dazu kommt die Sängerin Merle Böwering und der Tenorsaxofonist Adrian Gallet. Hier erkennt man die neue Prägung durch afro-karibische, süd-amerikanische Musik. Wienken beschäftigt sich zunehmend mit den musikalischen Farben Brasiliens, war außerdem mit dem BuJazzO, dessen Bassistin sie aktuell ist, auf Ecuador-Tournee.

Die Auseinandersetzung mit nicht-europäischen Traditionen ist dabei nie schlicht oder unreflektiert: „Da hat mich der offene und konzentrierte Diskurs mit Freund*innen mit internationalen Hintergründen, aber auch der Austausch mit meinen Kölner Dozenten Alfonso Garrido und Michael Rappe – besonders in ihrem Hochschul-Seminar »Black Atlantic« – eindeutig mitgeprägt. Auch ich, als weiße Musiker*in in Deutschland, hinterfrage natürlich meine Haltung zu Black Music bzw. Musik aus schwarzen Kulturen. Außerdem merke ich wie viele Musik-Communities es gibt, die vom „Jazz“ oder der akademischen Musikwelt belächelt werden, obwohl sie hochentwickelte Kunst schaffen, die das Gemeinschaftliche und den sozialen Kontext von Musik viel mehr in den Fokus stellen. Mich interessieren solche kreativen Prozesse mittlerweile viel mehr, als nur »Wer kann am krassesten und schnellsten Spielen?«. Dazu könnte es an der HfMT auf jeden Fall noch mehr Diskursräume geben.“ Die Neusserin, die immer wieder gerne in ihrer Heimatstadt, zuletzt bei der Jazzsommernacht, spielt und auftritt, sieht in der Großstadt Köln dann doch Vorteile: „Hier ist einfach mehr los – und der Austausch ist einfacher. Es gibt mehr Leute und mehr Orte für junge, kreative Gemeinschaften.“  Diese zusätzlichen Spielflächen, auch außerhalb des universitären Betriebs und seiner Möglichkeiten, sind selbstverständlich immer wichtig für Musiker*innen. Und es gibt damit auch mehr Möglichkeiten Instrumentalistinnen zu sehen – wie Ursula Wienken am Bass.

Mehr Informationen auf Ursula Wienkens Website