You must believe in Summer!

Mit der gebotenen Vorsicht kehrt der Live-Jazz auf alte und neue Bühnen zurück. Im Zusammenwirken von innovativen Live-Streams und kreativen Open-Air-Konzepten ergibt sich eine vielversprechende Antwort auf die Corona-Krise

Von Horst Peter Koll

Nicht nur die Musikerin und die beiden Musiker strahlten, auch auf den Gesichtern der 30, handverlesen eingeladenen Gäste wollte das Lächeln kein Ende finden. Endlich wieder ein Live-Jazz-Ereignis, wobei am vergangenen Sonntagabend der Ort das Besondere war: In gebotenem Abstand und unter strenger Einhaltung aller Hygienevorschriften saß das Publikum entspannt, allein oder zu zweit auf nummerierten Klappstühlen zwischen Salatköpfen und rosafarbenem Mohn inmitten eines Schrebergartens in Zollstock.

Erstmals seit vielen Wochen konnten Mareike Wiening (Schlagzeug), Calvin Lennig (Kontrabass) und Johannes Ludwig (Altsaxofon) wieder auftreten. Unter Walnussbaum und Gartenzeltdach spielten sie ein elegantes, fein nuanciertes Trio-Konzert mit Jazz-Standards. Auf Benny Golsons „Along Came Betty“ folgte „The Eye of the Hurricane” von Herbie Hancock, die Ballade „Isfahan“ von Billy Strayhorn und Duke Ellington brachte Johannes Ludwig mit seiner tänzerischen Melodiosität ebenso zum Leuchten wie Dizzy Gillespies „Con Alma“, das sich fugenlos aus John Coltranes „Satellite“ entwickelte. Mal hörte man aus der Ferne Kirchenglocken, mal mischte sich ein Güterzug ein, dessen grelles Hupsignal Ludwig verschmitzt in sein Spiel einbezog.

Auf die Idee dieses rundum geglückten Schrebergartenkonzerts kam Patrik Becker, der seit vielen Jahren die Reihe „Real Live Jazz“ im Sülz-Klettenberger ABS organisiert. Dort müssen in Corona-Zeiten die Jazz-Konzerte ebenso ausfallen wie an allen anderen Veranstaltungsorten, was besonders die vielen hervorragenden, in Köln ansässigen Musikerinnen und Musiker trifft, denen Konzerte, Projekte und teilweise auch Lehrtätigkeiten wegbrechen. Ab sofort will Becker den Sommer über regelmäßig Schrebergarten-Konzerte anbieten, und zwar als rein private Veranstaltungen, für die es einer schriftlichen Einladung bedarf. Informieren und anmelden kann man sich über die Website von Real Live Jazz. Am Sonntag, den 7.6., steht das nächste Konzert an: Sängerin Eva Buchmann, Saxofonist Malte Dürrschnabel und Gitarrist Johannes Behr gründeten dafür exklusiv das Trio Buchschnabel & Behr.

Exakt zeitgleich zum ersten Schrebergarten-Konzert fand im Stadtgarten ebenfalls Live-Jazz statt: Im dortigen „Green Room“ spielte das Quartett Trillmann mit Janning Trumann (Posaune), Fabian Willmann (Tenorsaxofon), Florian Herzog (Kontrabass) und Eva Klesse (Schlagzeug), und auch hier war die Begeisterung groß, gewiss auch die Erleichterung darüber, dass es überhaupt wieder Live-Konzerte gab. Bereits am 17.5. hatte der Stadtgarten als erster Veranstalter die Open-Air-Saison in Corona-Zeiten eröffnet. Seitdem lässt sich donnerstags im „Green Room“, einem intimen Konzertraum im hinteren Teil der Außengastronomie, wunderbar konzentriert Jazz in kleinen Besetzungen genießen. Zugleich sind die Konzerte über den Cologne Culture Stream zu verfolgen, wobei die Posaunistin Shannon Barnett auf dem Weg zu einer neuen Karriere ist: Ebenso versiert wie inspirierend moderiert sie die Konzerte vom heimischen Wohnzimmer aus und ergänzt sie durch Interviews.

Überhaupt hat das Jazz-Streaming inzwischen eine eigenständige Qualität erreicht. Neben „Nica streams“ im Stadtgarten haben besonders die Web-Konzerte im Loft eine spezifische, optisch wie klanglich markante Identität entwickelt. So sehr man zunächst mit dem leeren Konzertraum hadert, so schnell verfällt man der Intensität der Auftritte, bei denen Philip Zoubek mit seiner dreiteiligen Reihe „Natürlich Piano!“ Streaming-Maßstäbe setzte. Am 29.5. wird das Julian Bossert Trio für eine CD mitgeschnitten, und der Juni ist prall gefüllt mit weiteren hochkarätigen Streaming-Konzerten:

3.6: Jazz made in Indiana - Indiana Jazz Exchange 2020 (Ursula Martin-Ellis - Gitarre & Stimme, André Nendza – Bass, Peter Baumgärtner – Schlagzeug)

5.6. Duo Fox & Kintopf (Victor Károly Fox – Saxofon, Roger Kintopf – Bass)

9.6. Close Up - Live-CD Recording (Zuzana Leharová – Violine, Veit Steinmann – Cello, Constantin Krahmer – Piano, Leif Berge - Schlagzeug ; Gäste: Sebastian Gille - Saxophon & Michael Heupel - Flöte)

10.6. Maik Krahl Quartett (Maik Krahl – Trompete, Constantin Krahmer – Piano, Oliver Lutz – Bass, Leif Berger – Schlagzeug)

13.6. HIMOYA (Julia Ehninger & Stimme, Jonathan Hofmeister – Piano, Nico Amrehn – Bass, Jeroen Truyen – Schlagzeug)

15.6. Duo Laia Genc & Roger Hanschel (Laia Genc – Piano, Roger Hanschel – Saxofon)

24.6. Nils Tegen Quintett (Theresia Philipp – Altsaxofon, Menzel Mutzke – Trompete, Nils Tegen – Piano, Keyboard, Komposition, Robert Landfermann – Bass, Silvio Morger – Schlagzeug)

26.6. Doppel-Stream-Konzert: Duo Knörr & Kintopf (Lina Knörr – Stimme, Roger Kintopf – Bass) // Roever & Koch (Niklas Roever – Piano, Vincent Koch - Saxofon)

Auch das King Georg präsentiert auf der runderneuerten Website seinen „Jazz-Club Stream“ mit Straight-Ahead-Jazz. Hier haben aktuell neben dem grandiosen Duo Jerry Lu (Piano) und Stefan Rey (Kontrabass) die Sängerin Filippa Gojo und die Pianistin Laia Genc zu einem brandneuen Duo zusammengefunden (2.-11.6.). In der Summe sind all dies keine Corona-Notlösungen, vielmehr entwickelten sich die Streams allerorten zu einer eigenständigen, Performance-Form. Gerade im Zusammenwirken mit den neuen Konzertideen gibt damit der Jazz-Sommer eine selbstbewusste Antwort auf die Pandemie-Krise. Die leidenschaftlich erarbeiteten Perspektiven retten zwar noch längst keine Existenzen, sind aber ein vitales Signal der Hoffnung.

Dazu gehören ab Pfingsten auch „freiluftige“ Konzerte nicht im, sondern hinter dem Subway, wo ein angrenzender Hinterhof an Wochenenden mit etwa 40 bis 60 Stühlen in 1,5 Meter Sicherheitsabstand belegt wird. Am 31.5. eröffnen dann der Club Subway und das Subway Jazz Orchestra die Reihe „Jazz hinterm Haus“, die kaum hochkarätiger beginnen könnte als mit zwei Quartett-Auftritten: Die Trompeterin Heidi Bayer präsentiert ihr Quartett „Virtual Leaks“ mit Johannes Ludwig (Altsaxofon), Calvin Lennig (Kontrabass) und Leif Berger (Schlagzeug), während die Sängerin Tamara Lukasheva gemeinsam mit Lucas Leidinger (Klavier), Jakob Kühnemann (Kontrabass) und Thomas Sauerborn (Schlagzeug) auftritt.

Schließlich bahnt sich geradezu Sensationelles im Kölner Norden an: Die „Kantine“, bislang traditionsreiche Größe der Kölner Club- und Partyszene, öffnet ab Juni seinen weitläufigen Open-Air-Bereich für Jazz-Konzerte. Bis zu 100 Gäste können ab dem 17.6. jeden Mittwoch bis Ende des Sommers unter Einhaltung der Hygieneauflagen die Konzertreihe „Jazz in der Kantine“ erleben, zu der sich derzeit unter Federführung von Patrik Becker fünf kleinere Jazz-Veranstalter zusammenfinden: Real Live Jazz, Heimathirsch, Jazz O Rama (im Arttheater, wo es im Übrigen auch Open-Air-Jazz geben wird), Salon de Jazz und Greesberger steuern im Wechsel Konzerte bei und erobern sich so gemeinsam den vielversprechenden, neuen Spielort.

Ganz plötzlich ist er also wieder da: Quasi über Nacht kehrte der Jazz mit behutsamen, aber selbstbewussten Schritten auf die Konzertbühnen zurück und erschließt sich dabei sogar neues Terrain. Endlich gibt es wieder Licht im langen Tunnel der Entbehrungen, und auch wenn er noch längst nicht durchschritten ist, steht am Ende dann sogar ein ganz besonderes Glanzlicht an: 2021 bekommt Köln sein eigenes internationales Jazzfestival. Dann wird die „Cologne Jazzweek“ die Stadt eine Woche lang in den „jazzmusikalischen Ausnahmezustand“ versetzen. Wenn das keine Perspektive ist!